Der Jahresrückblick von Track17 mit den Top 50 Alben des Jahres 2024 von Christopher.
Am 13. Dezember erscheint der große Abschlusspodcast mit den besten Platten aus sechs Genres. Bis dahin gibt es hier die Liste, über die Christopher lange grübeln musste, aber wann hat Grübeln schon einmal so viel Freude bereitet?
Die Top 50 Alben des Jahres 2024 wollen mehr. Pop-Musik bedeutet wieder so vieles und nichts gleichzeitig. Es gibt Platten, die sich den Genres auf eine so spektakuläre Art verweigern. Dann wieder welche, die es so gut mit ihnen meinen, dass man fast eine Revolution vermuten würde. Am Ende aber versammeln sich hier 50 Platten, die zwischen Art-Rock, Avant-Pop, House, Techno, Indie, IDM, Avantgarde, Grime, Cold Wave, Rap uvm. Schubladen zu Feinden erklären.
Das hier sind die 50 Alben des Jahres. Mit einem Sieger, der uns vielleicht den letzten FUnken Resthoffnung auf eine bessere Zukunft bewahren darf.
50 – 46
50_ J. McFarlane’s Reality Guest – Whoopee
49_ Il Quadro di Troisi – La Commedia
48_ Bolis Pupul – Letter To Yu
47_ Maya Dhondt – wow, x
46_ Fergus Jones – Ephemera
In der Welt von J. McFarlane’s Reality Guest ist Pop-Musik eine Möglichkeit, quietschigen Spieluhren-R&B mit blubbernden Melodien zu kombinieren. Währenddessen servieren Donato Dozzy und Eva Geist mit ihrem zweiten Album als Il Quadro di Troisi erneut eine italienisch-elegante Form von im Club ausgebildetem Pop.
Bolis Pupul zeichnet mit seinem Werk eine musikalische Reise von Belgien nach Hongkong, irgendwo zwischen Minimal Wave und Blog House. Maya Dhont benötigt lediglich ihre Stimme, einen Drum-Computer, holprige Beats und eine Abneigung gegen das, was sie Melodien nennt, während der verrauschte Nebel-Rave von Fergus Jones zu Experimenten einlädt.
45 – 41
45_ Jawnino – 40 Neon Green
44_ Tim Koh & Sun An – Salt And Sugar Look The Same
43_ Seph – Septimo Sentido
42_ Yu Ching – The Crystal Hum
41_ Amery – Continue As Amery
Jawninos neue Platte ist Hip-Hop, wenn du willst, und Grime, wenn du willst. Aber zwingend, wuchtig und abenteuerlich – das ist unbestritten. Die Ambient-Skizzen von Multi-Instrumentalist Tim Koh und Sounddesigner Sun An ergeben weird-hübsche Computersounds. Der Argentinier Seph schmeißt spacige Beats, IDM, Acid und melancholische Synth-Melodien zusammen. Yuching Huang vereint Dream-Pop und Songwriter-Balladen aus einer Zwischenwelt, während Labelkollegin Amery große Melodien über Twang-Gitarren und leicht verträumten Post-Punk türmt.
40 – 36
40_ UTO – When all you want to do is be the fire part of fire
39_ Elsa Hewitt – Chaos Emeralds
38_ Shoko Igarashi – Onsen Music
37_ Mabe Fratti – Sentir Que No Sabes
36_ Loidis – One Day
UTO sehen aus, als seien sie straight aus einer WipeOut-Verfilmung geklettert. Ihr Y2K-Rave ist nicht nur live ein kleines Ereignis. Auf Elsa Hewitts zweitem Album knarzt und knackt es wieder lieblichst und catchy as hell, während Shoko Igarashi erneut merkwürdigst klingenden Anti-Pop und Anti-House-Musik zusammenkomponiert – für das Fragezeichen zwischendurch.
Die Cellistin Mabe Fratti ist im dritten Jahr in Folge für doomy gloomy Kammermusik verantwortlich, die erst im Herbst so richtig strahlen darf, während Huerco S. als Loidis blubbernden Minimal Techno mit viel Stil aus der Mottenkiste zerrt.
35 – 31
35_ Fabiana Palladino – s/t
34_ Caoilfhionn Rose – Constellation
33_ LICE – Third Time At The Beach
32_ Still House Plants – If I Don’t Make it, I love u
31_ Naked Roommate – Pass The Loofah
Von den beiden Platten aus der Jai-Pau-Schule, die dieses Jahr endlich veröffentlicht wurden, ist der „steamy“ Retro-Soul von Fabiana Palladino der klare Sieger. Die britische Singer-Songwriterin Caoilfhionn Rose hat hingegen ein schummriges Album voller Umwege und Geheimnisse geschrieben, in dem sie Jazz, Folk und Indie-Pop miteinander verbindet. LICE, das Quartett aus Bristol, setzt auf Rumpel-Drums, Post-Punk-Gitarren und allerlei Effekte, um eine abseitige Art-Rock-Story zu erzählen. Völlig ab vom Schuss ist die experimentelle und noisy Post-Alles-Gitarren-Musik der grandiosen Still House Plants. Naked Roommate hingegen fürchten Melodien nicht und knallen sie fast sekündlich in ihren leicht elektronisch aufgeladenen No Wave.
30
Skee Mask
Resort
Ilian Tape
Steigt man in das neue Album des Münchener Breakbeat-Barden ein, wirkt es so, als schreibe er mittlerweile Musik, die den Kopfhörer zum Club erklärt und das Tanzen zur langweiligsten Nebenbeschäftigung deklariert.
Die Banger aber lassen nicht auf sich warten: Breakbeats, zarte Ambient-Flächen, IDM mit Katerstimmung und knisternde Bass- und House-Momente für die ersten Sonnenstrahlen des Tages.
29
Anadol & Marie Klock
La Grande Accumulation
Pingipung
Minimalistisch ausgerüstete Beat- und Wave-Skelette hängen hier an der Wand und warten nur auf uns. Das hört man sich an, nimmt die Fragezeichen mit – das Lächeln gibt es gratis. Dazu kommt der zugleich kalte und aufgeladene Nicht-Gesang einer Marie Klock, die es sich, genau wie Anadol, in ihrer Nische der Nische gemütlich gemacht hat. Dort, wo spaciger, krautiger Plucker-Chanson jenseits großer Playlisten gleichermaßen verwirren wie erfreuen darf.
28
Aili
Nandakke?
Eskimo
Das belgisch-japanische Duo hat 2021 bei Track17 mit ihrer herausragenden DANSU-EP den Titel als beste Art-Pop-Platte gewonnen. The streets will never forget those Hits. Das Debütalbum knüpft genau dort an und knallt Farben, housige Elemente, viel groovenden Bass und eine LKW-Ladung Coolness auf ihre akustische Leinwand. Bitte die Hüften mitschwingen, danke.
27
O.
WeirdOs
Speedy Wunderground
Minimalistisches Set-Up, maximaler Ertrag. Das britische Duo, das nur mit Schlagzeug und Baritonsaxofon (Hand auf’s Herz: Hä?) Musik erzeugt, klingt, als würde eine zehnköpfige Band die lautesten Sounds der Saison ausrufen. Du denkst, du hörst Bass, du denkst, du hörst Gitarren – aber alles wird durch das (w)irre Spiel der beiden emuliert. Instrumentaler Hochgeschwindigkeits-Dance-Punk.
26
Poeji
Nant
Squama
Auch nicht viel mehr stellt das Duo Poeji, bestehend aus dem Münchener Drummer Simon Popp und der mongolischen Sängerin Enji, auf die Bühne. Minimalistische, fast nur angedeutete Kammermusik mit mächtiger Ausstrahlung. Oft nutzt Enji ihre Stimme nicht für Worte, aber wie sie mit ihr das Tempo vorgibt und einen musikalischen Kompass spielt, an dem sich die Schlaginstrumente (oder eher Zupfinstrumente) orientieren, ist großes Kino.
25
Molly Nilsson
Un-American Activities
Dark Skies Association
Auch das zehnte Album der ungekrönten DIY-Queen ist in seinen besten Momenten leicht angeschwipster, farbbefreiter Pop, der etwas Seduktives und Empowerndes vereint. Ihren nebeligen Synth-Pop mit Rave, Wave und Electronica hat sie im Laufe der Jahre perfektioniert und variiert gekonnt mit Madonna-ismen, No Wave und sogar House, während der politische Kampfgeist in den Texten federführend bleibt.
24
Moin
You Never End
AD93
Die Avantgarde-Rock-Supergroup von Valentina Magaletti und Raime gibt sich auf ihrem dritten und bislang besten Album noch mehr den schroffen, post-rockigen und minimalistischen Gitarrenexperimenten hin, die in der Herangehensweise noch immer leicht an den elektronischen, abstrakten Background ihrer Soloprojekte erinnern. Scratchy Cut-and-Paste-Rhythmen, Vocalfetzen, Repetition – das Konzept „Rockband“ kann man so gerne weiterhin komplett auf links ziehen.
23
Der Assistent
Amnesie am Amazonas
Papercup Records
Musik wie zurückgegelte Haare im August, Klänge wie ein frisch gebügeltes Kurzarmhemd und eine Stimmung wie ein 6-€-Rotwein, der schmeckt wie 60 €. Das zweite Assistent-Album in zwei Jahren kommt etwas sommerlicher und schwüler daher. Beschwingte, schwipsige Palmenmusik, bei der wir den Wind unter dem Hemd spüren und der zweite Cocktail besser schmeckt als der erste.
22
Geordie Green
The New Sound
Rough Trade Records
Dass es black midi nicht mehr geben soll, will mein kleines Herz nicht wahrhaben. Es ist nur konsequent, dass Greep jetzt solo diese Showman-Las-Vegas-Salsa-Klebeboden-Zirkusboxer-Nummer weiter durchzieht. Dieses verzweifelt Großgestige mit all seinen unironischen Salsa- und Bossa-Nova-Momenten, bei dem jemand auf kleinster Bühne von der Welt träumt, aber Angst davor hat, dass ihn das Scheinwerferlicht trifft, weil man den Schweiß auf der Stirn sehen könnte.
21
Total Blue
Total Blue
Music From Memory
Nicky Benedek, Alex Talan und Anthony Calonico kollaborieren in der Hitze von Los Angeles, um eine schwitzige New-Age-Suppe zu brauen, für die man das Konzept „Sommerabend“ an dieser Stelle einmal loben darf. Cheesy Spätachtziger-Synths, ein paar hallende Klanghölzer und Sounds, die nicht von dieser Welt sind. Das ist die Art Musik, für die man täglich den Release-Katalog von Music From Memory checkt.
20
Clinic Stars
Only Hinting
Kranky
Unter die Haut gehender Dunkel-Bedroom-Pop auf Kranky vom Duo aus Detroit, das sich in jeder Sekunde bedeckt hält und sich vom Nebel umarmen lässt. Was ich hier höre, ist das Knacken des Laubs unter meinen Schuhen. Es sind Andeutungen, die mein fröstelndes Hirn und mein fröstelndes Herz zu etwas zusammensetzen müssen – etwas, das irgendwie an Shoegaze erinnert, aber auch an alles, was uns die Hauntology je gelehrt hat.
19
Bullion
Affection
Ghostly International
Der britische Produzent Bullion hat früher instrumentalen Hip-Hop und Mash-ups gebastelt. Über Umwege und im UK-Dance geborene Beats mit Songwriter-Attitüde ist er jetzt im sommerlichen Yacht-Pop angekommen. Dieser zeichnet sich durch einen leichten Hang zu luftigen Vintage-Sounds und ein Gespür für unwiderstehliche Melodien und Harmonien aus, die Füße und Herz gleichermaßen bewegen wollen. Carly Rae Jepsen und Panda Bear hat er auch eingepackt. Wie nett von ihm.
18
The Germans
Spirituality
Cortizona
Die – der Name verrät es – belgische Band lädt ein in eine märchenhafte und versponnene Welt abseitiger Musik. Diese verknüpft die new agey Urlaubs-Weirdness einer Band wie The Zenmenn mit dem verwunschenen LoFi-Waldhütten-Märchenwald der letztjährigen Gespensterland-Compilation. Wir bekommen zarten, in den Vordergrund gestellten Gesang, der in Sounds gekleidet ist, die beim Exorzistenritual deiner Nachbarschaft laufen könnten. Songs einer Parallelwelt, in der Pop-Musik genauso sein darf wie hier – und dennoch ein Publikum finden dürfte.
17
Reymour
NoLand
Knekelhuis
Die Songs des Schweizer Duos platzen auch auf der neuen Platte fast vor Coolness. Minimalistischer Chanson-Wave, der klingt, als hätten sie sich in belgischen Kellern diverse Stapel vergessener Cold-Wave-Kassetten mitgenommen, um auf dem Rückweg noch den Sonnenaufgang in Paris mitzunehmen. Mühelos wird hier Musik auf Band gebannt, für die man sich die edelste Sonnenbrille aufsetzt, die man hastig auftreiben konnte.
16
Soela
Dark Portrait
Scissor & Thread
Elina Shorokova hatte schon vor vier Jahren mit ihrem Debüt auf DIAL ein extrem geschmackssicheres House-Album abgeliefert, zu dem mindestens dösen und maximal träumen durfte. Die Pianistin und Produzentin knüpft auf dem überragenden Nachfolger nahtlos daran an: ein leichter, clubbiger Sound und Tracks, die mit diversen Bass-Genres, aber auch Dream-Pop spielen. Das Album wird umrahmt von minimalistischen, herbstlichen Bedroom-Pop-Songs, auf denen sie ihre Stimme einsetzt.
15
English Teacher
This Could Be Texas
Island Records
English Teacher erschaffen auf ihrem Debütalbum 13 Hits in hymnischer, britischer Gitarrenpop-Tradition: torkelnde Pianos, zittrige, lärmende Gitarren, und über allem schwebt die Lyrik von Sängerin Fontaine. Wenn sie im Monsterhit „The World’s Biggest Paving Slab“ lautstark davon singt, dass die Welt nur auf ihr herumtrampelt, muss sie geahnt haben, dass sich das mit dem Release ihres Debütalbums endgültig ändern wird.
14
Astrid Sonne
Great Doubt
Escho
Eigentlich kommt die Dänin von instrumentaler, nahezu beatloser Musik. Hier öffnet sie ihrer Stimme die Tür, nähert sich dem Konzept „Song“ an und wabert bedächtig um dieses herum. Sanft holprige Drumbeats, Anleihen von Trip-Hop, schief gewickelte Songwriter-Musik. Andere Musik eben. Und in all ihren von kleinen Zweifeln begleiteten Songs ist das so intim, manchmal sogar bedrohlich, aber immer hochgradig faszinierend.
13
Julia Holter
Something In The Room She Moves
Domino
Julia Holters Art Pop stellt auf ihrem sechsten Album die Frage, ob es wichtiger ist, als Musiker*in bei einem Sound anzukommen und diesen zu verfeinern oder ob das der Weiterentwicklung eher schadet. Wenn ein Album so majestätisch und komplett daherkommt, gibt sich die Antwort von alleine. Das exzentrisch-verschrobene ihrer ersten Alben und das melodiegetriebene ihrer Nachfolger ergibt die Musik, für die sie schon immer bestimmt gewesen ist.
12
Clara La San
Made Mistakes
CLS Music
RnB, der sich in den Ecken wohlfühlt, die in den späten 00er-Jahren zahlreiche Produzent*innen ausgelotet haben, die das Genre über alte Samples in britischer Bassmusik wieder aufleben ließen. Es dröhnt, es umschmeichelt, es knallt dich in den Sitz. Seit wann gibt es Alben, die zugleich von Ashanti und von Burial sein könnten? Es geht dem Genre gut, sehr sogar.
11
Actress
Statik
Smalltown Supersound
Ach, Actress. Was würde ich ohne dich tun? Niemand sonst kann elektronische Musik, oder das, was entfernt damit zu tun hat, so sehr gleichzeitig in die Zukunft und in eine Parallelwelt schicken, in der alles diesig, merkwürdig, faszinierend und atmosphärisch packend ist. Zwischen verrauschter Avantgarde-Electronica und Zeitlupen-Bleeps erinnert diese neblige November-Musik am ehesten an sein altes Meisterwerk „R.I.P.“, steht in diesem ansonsten aber komplett für sich.
10
Sissi Rada
Aporia
Stroom
Die griechische Orchestermusikerin und Harfinistin Sissi Rada schafft es, nur mit ihrer Harfe, einem alten Prophet-5-Synthesizer und ihrer Stimme zehn Songs zu schreiben, die antäuschen statt auszuformulieren und trotzdem unheimlich viel erzählen, weil sie eine riesige Welt aufmachen. Trockene Beats, Flächen und Störsounds schleichen sich in das nur auf dem Papier minimalistische, kleine Meisterwerk. Das ist gigantisch. Wenn man jetzt nur wüsste, was das für ein Genre sein soll.
09
Holy Tongue meets Shackleton
The Tumbling Psychic Of Joy
AD93
Mit Shackleton und Valentina Magaletti treffen zwei Musiker*innen aufeinander, die beide nicht nur die Zusammenarbeit lieben, sondern ihre experimentelle Musik über Rhythmen und abenteuerliche Drums definieren. Der psychedelische Anbau, den Shackleton seinen Bassmutationen in den letzten Jahren verlieh, reicht sich wie selbstverständlich die Hand mit dem dürren, dubbigen Post-Alles von Holy Tongue, bei denen auch Allen Wooton, früher bekannt als Deadboy, mitmischt. Wobbliger Free Jazz, Underground Electronica, Dub, Bass und ein Hauch Mittelalter-Folk. Der vielleicht schönste musikalische Knoten des Jahres.
08
Andre Bratten
Slay Tracks
Smalltown Supersound
Der Norweger mit DEM Techno-Album des Jahres. Knochentrockene Musik in gemäßigtem Tempo, die aus unterschiedlichen Sound-Perspektiven operiert, je nach Track. Der Opener „RES“ ist eine sanft treibende Nummer, „TUNNEL“ schabt sich mit leichter Acid-Note und einem stolpernden Beat immer weiter ins Ohr, während ein Hauch von Vocal-Sample für Verwirrung sorgt. „REPAIR“ dockt an die 90er-Warp-Schule an und bleept sich mit einer angenehmen Monotonie ins Ziel. „MINT“ beginnt wie etwas, das sich aus den Tiefen des Meeres nach oben zieht. Die Platte ist voller Tracks, die eine Art Vorahnung emulieren, als würde etwas Bedrohliches auf uns warten, wenn wir nur bis zum Ende zuhören.
07
Milo Korbenski
When You Gonna Tell ‚Em The Truth, Aaron?
Phantom Limb
Maskenmann Milo Korbenski für mich mit dem Fuzzy/Guitar/Coolness-Award 2024. „Booksmart Hunny“ ist mein Ohrwurm des Jahres, und alleine dafür dürfte man das Konzept „Indie-Disco“ nochmal kurz vorm Friedhof zerren. Aber ach, spielt halt nochmal „Books From Boxes“, ihr wollt es nicht lernen. Das ist so eine Platte, die mit der Gewissheit konzipiert wurde, nur aus Hits bestehen zu dürfen. Rein ins Ohr, rein in die Beine. Man sollte meinen, Platten wie diese gäbe es häufiger, aber nope.
06
FaltyDL
In The Wake Of Wolves
Central Processing Unit
Man spürt die Sound-Vergangenheit des Amerikaners Drew Lustman auf Skizzen wie „Workout“ oder dem zittrigen, breakbeat-lastigen „Minds Protection“. Dennoch ist der labeltypische Electro-Sound allgegenwärtig. Lustman spielt auf dieser Platte wieder mit Wucht. Frühere Tracks, auch aus seiner härteren Drum’n’Bass-Phase, hatten diesen Punch, der selbst langsamere Stücke mit jeder Menge Selbstbewusstsein aufzuladen wusste. Hier mischen sich Electronica, Noise, dieser fuzzy Industrial-Sound und Breakbeat dazu. Hörbar eine FaltyDL-Platte, die trotzdem wie nichts klingt, was er zuvor veröffentlicht hat. Und das war sehr, sehr viel.
05
Milan W.
Leave Another Day
Stroom
Milan W. schreibt Musik für das Ende. Die erste Solo-„Pop“-Platte, auf der er es mit seiner Stimme versucht, fühlt sich an wie die allerletzte Musik der Welt. Der letzte kollektive Seufzer in den Abendhimmel. Eine gute Dreiviertelstunde Selbstdemontage, der alten Liebe nachhängen, ein bisschen Aufgabe, ein bisschen Ratlosigkeit. Aber viel Gefühl. Wo und wann man das verorten soll, ist kaum zu beantworten. Das ist Musik, die im Herzen stattfindet. Und ja, es kann sein, dass sie dort alles zu Klump haut. Naja, da müssen wir durch. P.S. „Face To Face“ ist einer der Songs des Jahres.
04
Zelienople
Everything Is Simple
Shelter Press
Zelienople, die droney Ambient/Post-Alles-Slowcore-Band aus Chicago, ist eine der besten Bands, die wir haben. Und doch vergesse ich immer wieder ihre Existenz – bis ein neues Album erscheint. Auch die neue Platte ist mit ihren rhythmischen Drum-Schlägen, Holzbläsern, Vibraphonen und diesem sehr luftigen Gefühl, über allen Dingen schwebend, unterwegs. Überhaupt klingt die Musik hier wieder so, als wären alle Elemente der Platte meilenweit voneinander entfernt in einer gigantischen Lagerhalle aufgebaut: die zarten Gitarren, Elemente wie Xylophone, Bläser und die verhallte Stimme von Christensen, die einfach nicht älter zu werden scheint.
03
James DIN A4
Ins Licht
Blubbernugget
Alles daran schreit meinen Namen. Wobei, an „schreien“ ist hier nicht zu denken, zu laid-back wird hier operiert. Klar, auch auf der ersten seit Jahren von Dennis Busch unter diesem Namen veröffentlichten Platte will die Euphorie mal zwischendurch an die Tür klopfen und tanzbar ist das praktisch alles. Aber diese mitternächtliche 2009er-Dial-Romantik schimmert oft genug durch. Das ist House-Musik, die sich, nicht nur aufgrund der wunderbaren Samples, für alles eignet, was die Nacht zu bieten hat. Darüber reden wollte dann doch wieder niemand. Lasst diese Zeilen das kleine Streichholz sein, das ihr wenigstens für eine Sekunde etwas Licht spendet.
02
Jabu
A Soft & Gatherable Star
Do You Have Peace?
Jabu kommen aus Bristol, haben sich nach einem Fischwesen aus den Zelda-Videospielen (because why not) benannt und schreiben seit einigen Jahren Musik für die vernebelten Stunden nach Mitternacht und all seine Gedankenkarussells. Das Markenzeichen des Projekts ist ihr verschleppter Zeitlupen-Sound zwischen Trip-Hop, Dub und R&B – eine Kombination, die anfangs vielleicht das ein oder andere Fragezeichen aufwirft, jedoch flink von ihren geisterhaft-schönen Klängen vertrieben wird. Beats, Gitarren und Synthesizer tun das Nötigste, erzielen dabei aber eine maximale Wirkung. Die Stimmen, die sich dabei zaghaft nach vorne wagen, sorgen zuverlässig für Gänsehaut. Das Songwriting versteckt sich jedoch nie hinter der Atmosphäre. Musik für Laternenlichter und den letzten Bus der Nacht.
01
eat-girls
Area Silenzio
Bureau B
„Area Silenzio“ ist das Album des Jahres, weil das junge Trio pluckernde, verhangen klingende Geistermusik serviert, die sich formschön um den Nebel legt, der morgens über dem Kanal das Wasser unter dem trüben Sonnenaufgang begleitet. Es ist das Album des Jahres, weil es eben doch möglich ist, kalten und doch melodischen Minimal-Wave im Jahr 2024 mit einem Update zu versehen, der so wirkt, als habe man zwar von den Vorfahren der 80er gelernt, auf Zitate verzichtet man aber dennoch, um seine eigene Geschichte zu schreiben. Düster-Pop-Songs, die mal treibend die Flucht nach vorn antreten und mal zombiegleich den Schurfgang antreten, um mit ihren Maschinen dubbige Post-Alles-Musik auszuformulieren.
„Area Silenzio“ ist das Album des Jahres, wenn ihr manchmal um 23 Uhr denkt: „Mh, sind da nicht doch Gespenster auf meinem Dachboden?“, wenn ihr denkt, es ist völlig überbewertet, zu verstehen, was in einem Song gesungen wird. Wenn ihr Songs mögt, die so klingen, als wären sie die besseren James-Bond-Themes und zwar in einer Welt, in der Broadcast die größte Band der Welt ist.
Und wenn ihr mindestens 80% dieser Wörter liebt: minimal – synth – wave – pop – cold – dub – post – experimental – hab ich dub schon erwähnt? Ich liebe dieses Album.