Nein, auch 2017 ist das Albumformat nicht tot, da helfen auch keine “Playlists” by Drake. Die Hits des Jahres entstammen zwar den 12ern, EPs und “Singles”, aber dafür sind sie irgendwo ja da. Track17 presents: Die 50 besten Alben des Jahres 2017.
01
Laurel Halo // Dust
Hyperdub
Das Sommeralbum, das keines sein durfte. Laurel Halo schubst auf ihrem dritten Album weirde Elemente wie in einem Theaterstück für wenige Sekunden auf die Bühne namens „Dust“ und herauskommt eine Platte, die man in abgefahrenen Songs a la „Jelly“ Pop sein lassen darf, aber immer wieder daran erinnert, dass zwischen diesen drei Buchstaben Platz für Freejazz, Bassmusik und House ist. Ein irres Album, ein Album des Jahres.
02
Molly Nilsson // Imaginations
Dark Skies Association
Album Nummer Nummer 7 ist wieder eine von Nebelmaschinen umzingelte Großtat, darf mit “Money Never Dreams” den vielleicht hymnischsten, wenngleich unterkühltesten Pop-Song des Jahres in meine Ohren schleudern und ist schlicht wieder eine Platte, die immer ein bisschen verwegen und immer ein bisschen absurd ist, aber auch immer ein bisschen beschwipst das Whisky-Glas in die Nacht reckt. Famos. Gerade in Kombination mit dem Konzert in Hamburg.
03
Turinn // 18 1/2 Minute Gaps
Modern Love
Eine perfekt ausgestattete musikalische Eisdiele, nur schmeckt jede Sorte nach Blei. Typisch für Modern Love wird hier zwischen den Zutaten gesprungen, mal mit Breakbeat hantiert, dann die Techno-Dose geöffnet und letztlich alles mit Jungle abgechmeckt. Ein wüstes Album zwischen Burial und Autechre, das viel will und alles bekommt. Zumindest von mir. Liegt euch die Platte schwer im Magen, hat sie alles richtig gemacht.
04
Palmbomen II // Memories Of Cindy
Beats In Space Records
Der Niederländer zeitgeistet sich auf dieser vierfachen 12“ und in fast 90 Minuten quer durch die melancholische „weißt du noch“-Phase unserer Generation und vermisst in Form von absurden Talkshow-Clips und in 80er-Nostalgie zerfließendem Nebel-Hall-LoFi-House das Mädchen namens Cindy. Musikalisch groß, inhaltlich cheesy, aber noch halten wir es aus, dass die 10er-Jahre völlig ohne Identität auskommen.
05
Actress // AZD
Ninja Tune
Wenn Darren Cunningham ein Foto eines goldfarbenen Fahrrads postet und behauptet, sein nächstes Album würde so klingen, darf man ihm das glauben. Im Gegensatz zum Doomsday-Meisterwerk Ghettoville ist das mittlerweile fünfte Album eher verchromter Sci-Fi-Techno, verlor aber nichts von dem Wahnsinn, den seine Musik ausmacht. Wäre der Bank-of-England-Track noch dabei, hätte vielleicht die 1 gewunken. Einmal Fanboy. Immer Fanboy.
06
Princess Nokia // 1992 Deluxe
Rough Trade
Destiny Frasqueri schaft mit 1992 Deluxe das, woran George Lucas so oft scheiterte. Etwas Hervorragendes nehmen, neu aufsetzen, erweitern, auf doppelte Länge ziehen und so viel besser machen. Die endgültige Version des ohnehin schon von vorne bis hinten Schuhe nebst Socken verschwinden lassenden Mixtapes ist 16x Mittelfinger, Jugend, Power, Außenseiter-Rap, New York und irre viel Talent.
07
Sophia Kennedy // s/t
Pampa Records
Noch so ein “aus dem Nichts”-Ding. Kennedy wurde von DJ Koze für Pampa verpflichtet und dankt dies mit einem eleganten, verspielten und süchtig machenden Stück Pop. Für manche sind es die taumelenden Piano-Klick-Klacker, für manche die unbefristet im Gedächtnis wohnenden Ohrwürmer, für mich ist es all das und die Stimme. Und wer im Video zu “Build Me A House” eine Louie-Hommage unterbringt, hat eh gewonnen. P.S. Dringend Shari Vari checken.
08
DJ Seinfeld // Time Spent Away From U
Lobster Theremin
Well, well. Auch von wir nur noch einen halben Meter von DJ Lindenstraße entfernt sind, ist es der Schwede, der – einfach in Post-break-up-Zeiten bei Jerry und co. hängen blieb – dem Nicht-Aufreger LoFi das Album schlechthin gab, das in Sachen Samples, Bass und Drums eigentlich eher die Garage-Houser der 90er anzapft. In einer Welt, die meistens in Ironie ertrinkt, darf man für so ein Album nahezu dankbar sein. Es reicht aber auch, es zu mögen.
09
Damiano von Erckert // In Case You Don’t Know What To Play
ava. records
2013 die umjubelte 1, vor zwei Jahren auf der 5, jetzt die 9. Was auf dem Papier wie ein Abstieg aussieht, ist eigentlich nur Zeilenfüller, denn von Erckert hat den Status als Liebling auch mit dem dritten Album zementiert. Leftield-House zwischen Afro-Funk und Chicago-Einflüssen geht halt nicht besser. Ob der dreifache Titeltrack, die Reise nach Tokio oder der Sound of Recklinghausen – hört seine Platten und wartet mit auf den dazugehörigen „In Case You Don’t Know What To Watch“-Film.
10
Bicep // Bicep
Ninja Tune
Die am öftesten getrackIDten Belfast-Boys des Jahres gewinnen aktuell sämtliche Konsens-Awards und wurden – mit jedem Recht der Welt – auch bei uns im Podcast abgefeiert. So zielsicher die letzten 5 Jahre ihrer Geschichte in ein Statement zu gießen, welches Ravegeschichte und Zukunftsvisionen gleichzeitig mit Niederknie-Tracks verhandelt, musst du halt auch einfach können.
11
Moirè // No Future
Ghostly International
Sieht alles nicht so rosig aus mit der Zukunft. Laut Moirès zweiter Platte ist die eh abgesetzt und gibt daher die düstere Ausrichtung der verschleppten House-Dystopie vor. Kalt, rostig und eher mit heruntergezogenen Mundwinkeln kann die nächste Party zum Weltuntergang eigentlich nur mit dem Zweitling von Moirè ausgestattet werden. Gute Laune gibt es dann woanders.
12
Oneohtrix Point Never // Good Time OMPS
Warp
Der so hektische wie stylische Heist-Gone-Wrong-Thriller der Safdie-Brüder ist einer der Filme des Jahres und schuld daran ist unter Anderem der beeindruckende Score meets Soundtrack von Daniel Lopatin, der nach einer paar semiguten Warp-Platten zur Karriere-Höchstform aufläuft und neben technoiden Noir-Dub-Synthesizer-Dramen auch Iggy Pop im Gepäck hat. Wuff. Oscar, anyone?
13
WALL // Untitled
Wharf Cat Records
Wer nach dem grimmigen bis mokanten Debüt der New Yorker Post-Punk-Truppe WALL auf fortsetzende Glanztaten hofft, wird dies vergebens tun: Die gibt es bereits seit über einem Jahr nicht mehr. Ein Jammer, denn was sie uns hinterließen ist so dermaßen kühl-aggressiv dahergegrummelter Misanthropen-Punk, dem keine andere Farbgebung als das ewig schwarz-weiße stehen würde. Das „wäre, wäre Fahrradkette (Lothar)“ des Jahres und ein fettes Ausrufezeichen im 17er-Plattenregal.
14
Sporting Life // Slam Dunk
R&S Records
Der New Yorker Eric Adiele packt die drei vom gleichnamigen Basketball-Manga Slam Dunk inspirierten Tapes zusammen und lässt daraus ein Album entstehen, das die Courts der Stadt mit verspieltem LoFi-Hip-Hop beschallt und immer wieder Platz für Zusammenarbeiten bietet. Ob Dev Hynes, Evy Jane (!) oder für die aufmerksamen Ohren ein Sample von Kate Bush – solche Trilogien braucht das Land.
15
Kedr Livanskiy // Ariadna
2MR
Das geisterhafte „Ariadna“ war schon im Spätsommer einer der ganz großen Songs für die letzten Sonnenstrahlen des Tages und das nicht minder kühle Debüt der Russin ist schroffer, technoider Pop, der analoge Synthesizer für ihre verträumten Retro-Tracks nutzt, die 2017 so ziemlich einzigartig waren.
16
Kelela // Take Me Apart
Warp
Vor fünf Jahren mit halbem Ohr als Teengirl-Fantasy-Feature wahrgenommen, plötzlich zusammen mit S4U verantwortlich für die bemerkenswerteste Vermählung von Post-Everything induzierter Bass-Freude und dem Bewusstsein, dass die 90er halt einfach mal Aaliyah gehörten und alles andere die Lüge unter den Lügen wäre.
17
The Darker The Shadow The Brighter The Light // –
–
Befahren wir aus Fanboy-Gründen die Schummelschiene und nehmen ein Album mit auf, das keines ist. Mehr Sammlung von neuen Tracks als alles andere, aber die Rückkehr von Mike Skinner könnte auch problemlos unter dem Namen The Streets laufen und sich gerade qualitativ in die großen fünf seiner Discografie einreihen. Und das war fast die größte Überraschung des Jahres. Hat noch jemand ein Ticket für Amsterdam/Berlin?
18
Shed // The Final Experiment
Monkeytown Records
Renè Pawlowitz klatschte uns schon zu Jahresanfang seine besten Tracks seit dem sensationellen 10er-Album um die Ohren und hat neben eigentlich allem, was gerade auf Ilian Tape abgeht, die britoiden Breakbeat-Fäden des Spiels fest in der Hand. Dey dont make records like dis no mo.
19
Tzusing // 東方不敗
L.I.E.S.
Entschleunigter, druckvoller Industrial-Techno aus der hintersten Plattenladen-Ecke. L.I.E.S. hat seine Highlights wieder und der sich ins Ziel schleppende Tribal-Horror mit seinem Gemisch aus orientalischen Samples und Luft aus dem Raum ziehender Atmosphäre schafft ein Album, nachdem man hinterher erst einmal seine Ruhe braucht.
20
Snapped Ankles // Come Play The Trees
Leaf
Der schwer tanzbare bis ausladende, aber vor allem von der Musikwelt leider komplett übersehene/überhörte Art-Rock der Briten ist das beste Album, das !!! nie schrieben und hibbelt, zappelt und groovt, dass es einem die Blicke im Bus letztlich wert sind, wenn der nächste Rhythmus die Hüften anwirft. Sorry not sorry.
21
Jlin // Black Origiami
Planet Mu
Ein absurdes, Gelenke ruinierendes Album, zu dessen (Post?)-Footwork-Legende man den passenden Tanz noch zu erfinden hat. Jlin ist als Produzentin so dermaßen konsequent und musste nicht erst mit ihrem zweiten Album beweisen, dass Footwork diese unruhigen, nervösen, düsteren Stimmungen vereinen kann, hat es aber endgültig perfektioniert.
22
Onra // Chinoiseries Part 3
All City
Nein, Chinoiseries Pt 3, die musikalische Stammbaumforschung meets Beattape, ist nicht das musikalische Äquivalent zu Toy Story 3 und somit der beste Teil seiner Trilogie, aber hey. Ein letztes Mal werden staubige Kisten voller ostasiatischer Musik mit Onras Beatbastelei verbunden und beenden eine Liebe, die vor 10 Jahren begann.
23
DJ Sports // Modern Species
Firecracker
Selten musste man sich für Sport so unbemüht aufraffen wie bei dem Debüt-Album des Kopenhageners, der durch und durch von den Besten gelernt hat. Ambienter Sci-Fi-Jungle, House und Breakbeats durchziehen die 8 Tracks und rechtfertigen jede noch so ungelenk formulierte Lobhudelei.
24
Strange U // #LP4080
High Focus Records
Warum diese Platte 2017 nicht alles abgeräumt hat, bleibt an sich ein Rätsel, dafür ist sie aber vermutlich einfach zu weit draußen. King Kashmere und Zygote beackern UK Hip Hop von der schiefen Seite, stolpern bis holpern durch spacige, trockene Beats, Chaos und Popkultur. Rap 2017 aus einer Parallel-Dimension. Crumble statt Mumble.
25
Daphni // Joli Mali
Jialong
Ob der Fabric-Mix, der komplett aus bis dato in Schubladen vergammelnden Daphni-Tracks bestand, oder eben doch die ausformulierte Album-Version. Was den Spot auf der Liste bekommt, ist Geschmackssache (duh), nicht zur Diskussion steht aber, dass Dan Snaith als Daphni schlicht die abgefahrenere und spannendere Musik macht. Sorry, Caribou.
26
Lee Gamble // Mnestic Pressure
Hyperdub
Hast Du ein Lieblingsgenre? Die Chancen sind hoch, dass es Gamble auf seinem Hyperdub-Debüt dekonstruiert, durch den Dreck schleift und als Teil dieses in jeder Ecke anders klingenden Albums als Sound-Mutation präsentiert. Jungle, House, Hip-Hop, Dubstep – nichts darf sicher sein, nichts will man sich ohne Lee Gamble mehr vorstellen müssen.
27
Hoops // Routines
Fat Possum Records
Twangly Bedroom-Dreampop, der mich nicht mehr auf ein neues Craft-Spells-Album warten lässt, knapp zweiminütige Ohrwürmer erfolgreich zur Hauptdisziplin erklärt und mit „Rules“ eine der Singles des Jahres auf die Playlists schleudert? Why, thank you. Her damit. Die drei Tapes als “aha, da kommen sie also her” dann als Nachtisch.
28
Kettenkarussell // Insecurity Guard
Giegling
Leafar Legov und Herr Koreander verschieben in Sachen Giegling zumindest für 6 Tracks at a time die Aufmerksamkeit von Kontantins idiotischen Aussagen hin zu dem, für das die Weimarer eigentlich stehen sollten. Wunderschöne, utopische Techno-Märchen erzählen.
29
Dauwd // Theory Of Colours
Technicolour
Der krautrockige, trockene Downbeat des Dauwd’schen Album-Debüts ist so knackig wie kurz und ein wahre Wohltat nach Tagen, die lang und verzichtbar waren. Auf seine ganz eigene Art klingen die Tracks wie straight aus den 70ern entführt und in (DeinenLieblingsplattenladeneinfügen) gesteckt, damit sich alle mal ein bisschen kennenlernen.
30
Terekke // Plant Life
L.I.E.S.
Inmitten der ganzen LoFi-Truppen gibt es weiterhin Labels wie L.I.E.S., die schon vor Jahren ihre Musik mit staubiger Mikrowelle und Taschenrechner aufgenommen haben. Gegen Jahresende darf demnach der dubbige, kratzige House von Terekke nochmal mit Nachdruck erinnern, warum auf Long Island die Ohren noch am besten ausgepustet werden.
31 – 35
Was noch? Eleganter, tiefschwarzer und eiskalter Slo-Mo-DnB von Pessimist auf Blackest Ever Black (kannst du dir nicht ausdenken), das faszinierendste Album der ehemaligen Spaghetti-New Wave-Dub-Family Peaking Lights („The Fifth State Of Consciousness“), das nächste Absurd-Projekt des ewig ungreifbaren Dean Bunt, welcher auf “WAHALLA” gemeinsam mit Joanne Robertson wieder gespenstisch-geniale Weird-Pop-Momente liefert, der unwiderstehlich hymnische Garage-Pop der hoffentlich demnächst durch jede Playlist getriebenen Gingerlys (seriously) und natürlich Dr. Maus, dessen Rückkehr in die Welt der Musik mit “Screen Memories” Ausrufe- wie Fragezeichen gleichermaßen zum Tanzen bringen. Welcome back, John.
36 – 40
Was noch? Der leicht morbide Shoegaze-Pop der Schweden von Agent bla ist ständiger Begleiter des Jahres gewesen, ebenfalls als „Beach Goths“ deklarieren (wenn auch mit diesem Zwinkerding) sich Red Axes mit einem strangen James-Pants-goes-Surf-Psych-Mischwesen für die selten besuchten Ecken des Gehirns, Zomby bzw. Modern Love finden das mit Legenden ausgeschmückte Future-Eski-Grime-Album „Mercury’s Rainbow“ auf irgendeiner Festplatte und The Courtneys haben mit ihrem Album-Sequel „II“ wieder die halbe Popkultur unter Zuhilfenahme von nostalgischem Gitarrenrock vereint. Thundercat kann währenddessen dieses Mal nicht unter 23 Tracks zeigen, warum campy Funk und Soul in seinen Fingern am besten aufgehoben sind.
41 – 45
Was noch? Forest Swords, der auf „Compassion“ wieder Chöre über verenden Dub jammern lässt und (Tr)/(H)ip-Hop zum Exorzismus auffordert, die immer guten Deerhoof, die sich bitte niemals mehr ändern mögen und es ohrenscheinlich auch nicht wollen, dafür jetzt Gäste einladen um Berge zu versetzen („Mountain Moves“), Clark, der auch mit „Death Peak“ nicht minder abgeklärt seine Discografie vergoldet und hoffentlich nicht von aller Welt for granted getaked wird, so zuverlässig ist der Kerl, Photay bespielt das Feld House auf „Onism“ mit jeder Menge Wärme und Claro Intelecto war mit seinem melodiösen Techno noch nie so intensiv wie auf „Exhilarator“ und hat noch nie seine Finger in so vielen Genres gehabt.
46 – 50
Was noch? Die New Yorker Aye Nako powern sich in ihrem irre guten Post-Punk in Arbeitsteilung mit Druck durch Rassimus, Sexismus und Diskriminierung, Rachel Aggs hat mit Sacred Paws die x-te großartige Band am Start (Shopping sind im Januar wieder für uns da) und „Strike A Match“ ist dabei lockerer, jangly LoFi-Pop, der gebürtige Inder Jitwam gibt auf seinem ersten Album den akut besseren Gonjasufi mit seiner Mixtur aus Weltmusik und Hip-Hop, während John Talabot und Axel Boman gemeinsam best of both worlds spielen und kosmisch-krautige Romantik in ihren Techno tupfen und Karen Gwyer auf „Rembo“ nicht nur die vielleicht besten Songtitel des Jahres vereint, sondern sich auch weigert ihren detroitigen Technno vom Schmutz zu befreien.